Große Wellen surfen: Die Erfolgsgeheimnisse von Big Wave Helden

by Dennis
Große Wellen surfen

Uaahhh…. Das sage (und denke!) ich immer, wenn ich am Surfspot auf für mich große Wellen treffe. Reingehen, ja oder nein? Einer der Antworten auf die Frage hat, wie man sich dieser Angst stellt, ist Dennis vom Surftechnik-Blog landratten.org. Von ihm stammt dieser Gastbeitrag! 

Komfortzonen. Jeder hat sie, in verschiedenen Lebenslagen, und unser Lieblingssport ist davon nicht ausgeschlossen. Im Gegenteil, er zeigt dir deine Grenzen vielleicht besser auf als alles andere! Als Heidi von meerdavon mich fragte, ob ich einen Beitrag über große Wellen schreiben will und wie man sich an sie heranwagt, musste ich erstmal über meine eigenen Grenzen nachdenken. An die Tage, an denen ich Ewigkeiten am Wasser stand, jedes Set und jede Strömung genauestens beobachtete und mich fragte, ob ich gehen soll oder nicht. Bestimmt kennen die meisten von euch diese Situation. Aber warum denken wir überhaupt über große Wellen nach? Es zwingt uns doch niemand, Situationen zu suchen, in denen wir uns nicht wohl fühlen. Eigentlich sollte es beim Surfen doch in erster Linie um Spaß gehen, oder?!

Ja genau darum geht es! Doch jeder, der sich einmal überwunden hat und tatsächlich in für ihn große Wellen gegangen ist, kennt das Gefühl: Erst hast du dich eine Ewigkeit mit Bauchschmerzen und weichen Knien ins Line Up gekämpft, wurdest durchgewaschen und bist trotzdem weitergepaddelt. Als Lohn hast du vielleicht nur eine einzige Welle bekommen, aber diese eine Welle ist das 100-fache wert. Nicht nur, weil sie größer, kraftvoller und schneller als sonst war. Sondern auch weil du weißt, dass du selbst entschieden hast, sie zu nehmen. Trotz Angst, trotz Unsicherheit, trotz Bedenken. Für mich sind das die prägendsten Erlebnisse beim Surfen.

1. Wie groß sind „große Wellen“ eigentlich?

Jeder Surfer kann mitreden, sobald es um große Wellen geht. Aber wann gilt eine Welle eigentlich als „groß“ bzw. wie viele Meter muss sie dazu hoch sein? Das ist gar nicht relevant, weil „groß“ für jeden verschiedene Ausmaße annimmt. Was für dich letztes Jahr noch angsteinflößend war, ist vielleicht dieses Jahr schon ein Kinderspiel. Denn unsere Grenzen sind verschiebbar – toll, oder? Doch die Frage, wie man das mit dem Grenzen erweitern nun anstellt, treibt die meisten Surfer um. Ich bin weder Big Wave Surfer noch Surf Coach, daher will ich dich auch nicht mit meinem Halbwissen und eventuell unpassenden Einschätzungen behelligen.

Große Wellen surfen - PowerNoch dazu wird die objektive Wellengröße bei Surf Forecasts nicht immer nach dem metrischen System angegeben. Manchmal wird da hawaianische System zugrunde gelegt, bei dem die Größe der Welle nicht von vorn (Face vom Peak bis zum Bottom), sondern von hinten gemessen wird. Deshalb ist eine „hawaianisch gemessene“ 3 Fuß-Welle  eigentlich eher 6 Fuß groß. Aber das nur als kleine Information am Rande.


2. Große Wellen: So erweiterst du deine Komfortzone im Wasser

Für meinen Blog landratten.org habe ich mich im Rahmen einer Beitragsserie namens Going Big systematisch mit dem Thema große Wellen auseinandergesetzt. Ich fragte den australischen Big Wave Surfer Mark Visser – der am berüchtigten Spot Jaws schon Nachtsurfen war – und Jamie Mitchell, Gewinner der Big Wave Challenge im portugiesischen Nazare, um Rat. Außerdem studierte ich noch weitere dieser Extremsportler. Ihre gebündelten, wichtigsten Erkenntnisse zum Surfen großer Wellen möchte ich euch hier präsentieren.

1. Erkenntnis: Es geht beim Surfen großer Wellen in Babyschritten voran

Wie bereits gesagt lassen sich Wellen nicht eindeutig in „groß“ und „klein“ einteilen. Entscheidend ist unsere eigene Schmerzgrenze. Die lässt sich nicht von heute auf morgen ins Unermessliche  verschieben, auch wenn man es noch so gerne hätte. Jamie Mitchell hat mir dazu Folgendes mit auf den Weg gegeben: Du musst dich in Baby-Schritten in das Surfen großer Wellen voran arbeiten. Es braucht jahrelange Hingabe!“ Leider gibt es also keinen Stein der Weisen, mit dem man über Nacht zum Big Wave Surfer wird. Stattdessen sind Geduld und harte Arbeit angesagt.

Große Wellen surfen - Tow In

So große Wellen surft man erst nach jahrelanger Vorbereitung und mittels Jetski Tow-In

2. Erkenntnis: Du musst deine eigenen Fähigkeiten korrekt einschätzen

Vielleicht ist bei dir eingangs der Eindruck entstanden, dass es für mich beim Surfen und Pushen der eigenen Grenzen bloß um die Überwindung von Ängsten geht. So war das aber nicht gemeint! Das Überschreiten der eigenen Angstschwelle stellt lediglich einen einzelnen notwendigen Schritt dar, wenn du große Wellen surfen willst. Genauer gesagt, den letzten Schritt in einem längeren Lernprozess.

Stell dir nochmal die oben genannte Situation vor. Du stehst am Meer, beobachtest große Wellen beim Anrollen und grübelst, ob du ins Wasser gehen sollst. Meiner Meinung kann es eine völlig vernünftige Entscheidung sein, nicht zu gehen. Denn Surfen ist ein gefährlicher Sport, und unsere Fähigkeiten sollten zu den äußeren Bedingungen der Umwelt passen. Im Interview bringt Big Wave Surfer Mark Visser das gut auf den Punkt:

Sich in so eine Situation zu begeben, ohne die nötigen physischen Fähigkeiten zu haben, ohne Wasserkenntnis oder ohne den Ozean zu verstehen, wäre ziemlich dumm. Es mag sein, dass du eine Wahnsinns-Psycho-Granate bist, die auf einem Riesending startet. Aber wenn man nicht weiß, wie man sich selbst helfen kann, wird man schnell ein Problem für andere. (…) Wenn du da draußen bist und genau weißt, was du tust und du sogar noch jemand anderen helfen könntest, dann ist wahrscheinlich der richtige Zeitpunkt für dich gekommen.“

Nur weil man entschlossen genug ist, große Wellen zu stehen, muss der Weg ins Line Up also noch lange keine gute Idee sein – zumindest wenn die eigenen Fähigkeiten nicht absolut sattelfest sind.

Große Wellen: Mark Visser

Mark Visser in Westaustralien (Foto: Jamie Scott Images)

3. Erkenntnis: Für große Wellen ist Vorbereitung alles

Angst ist also nur die letzte Barriere, die beim Surfen großer Wellen überwunden werden muss. Dazu benötigen wir Selbstvertrauen. Dieses können wir wiederum durch Vorbereitung erlangen, indem wir unsere Fähigkeiten schleifen. Insbesondere landlocked Surfer müssen neben dem eigentlichen Surftraining kontinuierlich an ihrer Fitness arbeiten. Im Alltag bieten sich z.B. Surf Yoga zur Dehnung oder ein gezieltes Surf Workout zur Kräftigung an; und eine gesunde Ernährung macht für Surfer ebenfalls sehr viel aus. Das wissen auch Big Wave Surfer.

Mark Visser hebt bei eine Übung heraus und gibt den relativ simplen Tipp: Mach jede Menge Liegestütze! Die geben dir die nötige Power, wenn du durchgewaschen wirst und mit deinem Board kämpfst. Und sie sorgen für Ausdauer beim Duck Dive. Auch ein explosiver Pop-Up, der bei einem steilen Drop in eine große Welle erforderlich ist, lässt sich gut im Trockenen üben.

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Die nötige Paddel-Power holt sich Waterman Jamie Mitchell übrigens durch Training mit dem Paddle-Board oder Stand-Up Paddling. Genau wie dein Surfboard kannst du diese Gerätschaften auch in heimischen Binnengewässern nutzen und dich durch ein spezifisches Training selbst jenseits vom Meer auf die nächste Paddel-Odyssee vorbereiten. Doch noch eine weitere Fähigkeit ist beim Surfen großer Wellen besonders wichtig.

4. Erkenntnis: Jeder Surfer sollte ein guter Schwimmer sein

Die Gleichung ist einfach: An den meisten Surfspots  gibt es keine Rettungsschwimmer und wenn du im Meer Probleme bekommst, weil du zum Beispiel dein Board verloren hast, sieht dich vielleicht Niemand. Unter Umständen wirst du vielleicht sogar gesehen, aber keiner kann oder will dir helfen. Dann bist du auf dich allein gestellt und deine Schwimmfähigkeiten sind alles, was zwischen dir und dem Meeresgrund steht. Auf meine Frage, wie ich mich auf große Wellen vorbereiten soll, antwortete Mark Visser: „Such dir eine Schwimmgruppe!“ Die findet man wirklich in jedem größeren Schwimmbad, meistens sogar mit Kursangebot. Wer uns das nicht glaubt, schenkt vielleicht Legende Laird Hamilton mehr Beachtung. In seinem Buch „The Force of Nature“ schreibt er:

Before you even think about buying a board, the first order of business is to become a strong swimmer. No swimming, no surfing.

Schwimmtraining hilft dir aber nicht bloß als letzte Instanz, falls dein Board flöten gegangen ist. Es macht dich auch zu einem besseren Paddler auf deinem Board! Es gibt sogar rein surfspezifische Schwimmtrainings, wie etwa XSWIM von Rob Case. Wem Schwimmen zu monoton  ist, der findet im Wasserball eine hervorragende (und ziemlich anstrengende) Alternative .

Große Wellen surfen - Paddeln

Gute Schwimmer paddeln einfach besser

In diesem Zusammenhang ist ebenfalls das Thema Body Surfing interessant, also Wellenreiten mit deinem Körper. Das macht nicht nur eine Menge Spaß, sondern kann dir auch helfen, im Verlustfall ohne Board kraftsparend an Land zu kommen. Hier findest du ein paar gute Tipps zum Body Surfen.

5. Erkenntnis: Auch dein Kopf muss sich auf große Wellen vorbereiten

Bei der mentalen Vorbereitung geht es vor allem darum, dass du selbst in bedrohlichen Situationen Ruhe bewahrst. Denn bei drohendem Kontrollverlust ist nichts ineffektiver und gefährlicher, als in Panik zu geraten. Sie kostet wertvolle Kraft, verschwendet Atem und führt zu schlechten Entscheidungen – sicherlich keine neuen Infos für dich.

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Mentale Vorbereitung auf große Wellen kann diverse Formen annehmen. Man kann z.B. verschiedene Situationen wiederholt gedanklich durchspielen, so dass sie im Ernstfall weniger fremd wirken. Wichtige Entscheidungen sind dann quasi schon vorab „getroffen“ und müssen nur noch abgerufen werden. Big-Wave Surfer wie Mark Visser (siehe oben) schwören häufig auf Apnoe-Training sowie Meditations- und Atemübungen, um sich auf längere Hold-Downs vorzubereiten. Dabei trainieren sie, im Ernstfall selbst ohne Luft zum Atmen die gedankliche Kontrolle zu behalten. Jamie Mitchell meint dazu:

Beim Wipe Out kommt es auf mentale und physische Vorbereitung an. Du musst physisch einfach fit sein, aber auch mental bereit (…). Ruhe bewahren ist der Schlüssel. Free Diving und Atemtechniken sind großartige Methoden, um Selbstvertrauen zu gewinnen.“

Auch für Laird Hamilton, einen wirklich exzessiv trainierenden Big Wave Surfer, spielt Apnoe-Training eine große Rolle. Er nimmt sogar Gewichte mit auf den Meeresboden, die in einerseits länger in der Tiefe halten und andererseits ein extra Workout sind. Ein harter Knochen, dieser Laird! Otto-Normal-Surfer müssen nicht gleich zu solch extremen Maßnahmen greifen, aber bereits Atemübungen im Pool helfen, sich für große Wellen zu wappnen.

6. Erkenntnis: Die Angst überwinden heißt nicht, dass sie weg ist

Auf Suche nach Antworten, wie man große Wellen meistert, war diese letzte Erkenntnis für mich die Spannendste. Denn sie hat nicht bloß mein Surfen, sondern auch viele andere Bereiche meines Lebens beeinflusst. Daher habe ich darüber geschrieben, warum Angst sogar zum besten Freund werden kann. Aber was ist damit genau gemeint? Fangen wir mal mit meiner früheren Einstellung zum Thema Angst an. Mittlerweile kommt sie mir fast etwas kindlich-naiv vor:

Ich dachte, ich muss einfach trainieren wie blöd, ständig besser werden und mich Schritt für Schritt an immer riesigere Brecher herantasten. Dann würde ich irgendwann richtig große Wellen surfen, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber irgendwie bekam sich das Wimpernzucken ab einem bestimmten Punkt nicht mehr ein, obwohl sich meine Fähigkeiten zweifelsfrei verbessert hatten.

Große Wellen - Angst

Die Angst ist vielleicht ein Begleiter, aber nicht dein Feind

Bei meinen Interviews und Recherchen zu verschiedenen Big Wave Surfern wurde mir dann irgendwann klar, dass mein Ansatz eigentlich eher Traumtänzerei  war. Diese Damen und Herren verfolgten nämlich allesamt eine andere Philosophie. So bin ich z.B. auf das folgende Zitat von Mark Visser aus einem Fernsehinterview gestoßen:

 Jedes einzelne Mal, wenn ich große Wellen surfen gehe, habe ich einfach Angst. Es ist nicht die Art von Ort, wo man sich hinbegibt und sich jemals wohl fühlt.“

Angst ist ein natürlicher Instinkt, der sich evolutionär durchgesetzt hat, weil er vorteilhaft zum Überleben ist. Es ist einfach von der Natur nicht vorgesehen, dass Angst in schwierigen Situationen fehlt. Entscheidend ist der Umgang mit ihr. Und da haben Mark Visser, Jamie Mitchell, Laird Hamilton und wahrscheinlich noch eine Menge andere Big Wave Surfer etwas gemeinsam: Sie verdrängen oder verteufeln ihre Ängste nicht, sondern akzeptieren und kontrollieren sie.

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Ängste zu überwinden heißt also nicht, dass sie weg sind – sondern anerkannt und gemäßigt. Selbst Keala Kenelly, die sich mit der Welle oben im Bild beim XXL Big Wave Award 2016 gegen alle anderen Frauen und Männer durchsetzte, ging dabei wahrscheinlich ganz schön die Düse! Doch sie hatte trotzdem alles im Griff.


3. Was sind eure Erfahrungen mit großen Wellen?

Große Wellen kann man Step by Step angehen, doch sie erfordern Committment – und selbst dann kann mal etwas schief gehen. Im Juli 2017 hat sich Jamie Mitchell, der in diesem Beitrag oft zu Wort kam, beim Wipe Out im mexikanischen Puerto Escondido das Schlüsselbein gebrochen. Doch er wusste, wie er sich in diesem Moment verhalten musste und befindet sich auf dem Weg der Besserung.

Sei dir den Gefahren beim Surfen immer bewusst, selbst wenn die Wellen keine Ausmaße wie auf den hier gezeigten Bildern annehmen. Wenn du es dennoch angehen willst, hier nochmal alle Tipps in der Zusammenfassung, wie du große Wellen meistern kannst:

  • In winzigen Schritten an große Wellen herantasten
  • Eigene Surffähigkeiten richtig einschätzen
  • Schwimmen gehen
  • Für gute körperliche Fitness sorgen und viele Liegestütze machen
  • Unterwassertraining zur Selbstkontrolle und für mentale Stärke starten
  • Ängste akzeptieren und kontrollieren

Ich hoffe, der Beitrag hat euch etwas Inspiration zum Thema große Wellen gegeben. Mich würden eure Erfahrungen sehr interessieren oder einfach, welche Gedanken ihr dazu habt. Schreibt mir gern einen Kommentar!

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2 comments

Karl 28. Juni 2018 - 10:35

Hi! Danke für den Text, nur eine kleine Ergänzung: Was sich Jamie Mitchell in Puerto gebrochen hatte war nicht das Schlüsselbein wie es oben im Text steht, sondern das Brustbein, also deutlich heftiger…

Reply
Heidi 4. Juli 2018 - 22:56

Ups, danke für den Hinweis! Das werden wir umgehend korrigieren!

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